Symbolik von Erde und Kosmos – Matriarchale Mysterienfeste, Tarotkarten, Astrologie
Heide Göttner-Abendroth 2023, Christel Göttert Verlag 562 Seiten
Mein Einstieg in meine heutige berufliche Arbeit fing vor gut 40 Jahren mit „Die Göttin und ihr Heros“ von Heide Göttner-Abendroth und anderen Autorinnen der frühen zweiten Frauenbewegung Ende der 70iger und Anfang der 80iger Jahre an. Sie, Elisabeth Gould Davis, Mary Daly, Anne Kent Rush und viele andere bereiteten mir den Weg auf dem ich heute stehe.
Das heißt, ich habe ihr recht viel zu verdanken. Denn sie öffnete mir den Weg für ein neues, starkes Frauenbild und dass Frauen früher die wahren Bringerinnen der Kultur waren. Damals konnte ich noch nicht die Feinheiten reflektieren, die ich heute – gute vierzig Jahre später und unendlich viel Forschungsarbeit weiter – habe. Gerade hier im deutschsprachigem Raum gab es so gut wie nichts bezüglich Frauen- oder Matriarchatsforschung. Dass was wir bekamen, kam hauptsächlich aus dem englischsprachigen Raum.
Daher erwartete ich mit Spannung ihr neuestes Buch, das schon länger angekündigt war. Als dann auch erste Hinweise zu den Inhalten bekannt wurden, war ich schon erstaunt, dass Heide Göttner-Abendroth (im Folgenden mit H G-A abgekürzt) das Tarot als schon in „matriarchalen Kulturen“ bekannt und genutzt verortet. Auf meine, in sozialen Medien, geäußerte Skepsis, dass das Tarot mitnichten älter als auch nur dreihundert Jahre sei, erntete ich einen Shitstorm.
Also gut, ich habe nun das Buch erhalten, gelesen und mit reichlich Anmerkungen versehen.
Zuerst: was mir im gesamten Buch auffiel war, dass H G-A immer wieder „städtische matriarchale Kulturen“ erwähnt, allerdings nirgendwo ein Hinweis zu finden ist, was das sein soll und wann und wo diese Kulturen existiert haben sollen.
Im weiteren Kontext eröffnet sich dann langsam, dass H G-A diese „matriarchalen Kulturen“ als jungsteinzeitliche Kulturen des Ackerbaus sieht, in einigen Textstellen verortet sie sie in das bronzezeitliche Griechenland. Wir wissen aber mittlerweile, dass die Bronzezeit bereits durch und durch patriarchal war und zwar von Ostasien bis Westeuropa und Nordafrika.
Auch wird nirgendwo auf ihre Definition des Begriffs „Matriarchat“ eingegangen. Hier kann es bei unbedarften oder noch unerfahrenen Leser*innen zu Missverständnissen kommen (Hier eine klärende Analyse der Begriffe "matriarchale Kulturen" und "Matriarchat")
Der Heros und die erotische Liebe:
Die Autorin sieht alles (matriarchale) Geschehen der Frauen nicht als eigenständig und selbst induziert, denn sie packt bei allem und jedem Akt der Jahreszeiten, der Feste, der Rituale, den Tarotkarten und im Kapitel über Astrologie einen „Heros“ hinzu – den „Geliebten“ der „Göttin“ oder ihrer Stellvertreterin: einer „Priesterin“. H G-A sieht die Liebe (völlig patriarchal) nur zwischen den Geschlechtern, aber niemals als die grundlegende Liebe, die unsere Existenz überhaupt erst ermöglicht – die Liebe zwischen Mutter und Kind.
Die so genannte „Heilige Hochzeit“ ist H G-A so „heilig“, dass dieser Begriff an vielen Stellen im Buch mindestens in jedem zweiten Satz auftaucht. Dazu weiter unten mehr.
„Priesterinnen“.
Priesterinnen und Priester sind Teile einer Hierarchie. Eine Hierarchie ist ein Marker des Patriarchats – ganz oben der/die Herrscher, der/die gleichzeitig die weltliche und geistige Macht inne haben kann, gefolgt von der Exekutive, sowohl weltlich (Kriegerkaste) als auch spirituell (Papst, Priester, Priesterin).
Da H G-A in anderen, früheren Werken, Vorträgen und auf Kongressen matriarchale Kulturen als hierarchiefrei definiert, widerspricht sie sich hier in ihren eigenen Erkenntnissen. Es kann aber auch einfach sein, dass sie hier die ausführende Zeremonienmeisterin als „Priesterin“ bezeichnet.
„Göttinnen“:
Noch öfter als die Begriffe Priesterin, Heros und Heilige Hochzeit genannt werden, fällt der Begriff „Göttin“ oder im Plural „Göttinnen“. Hierbei bezieht sich H G-A auf die uns heute alle bekannten Göttinnen des sumerischen (seltener), babylonischen (auch eher selten), nordisch-germanischen (ganz, ganz selten), griechischen, römische und ägyptischen Göttinnen (fast durchweg). Den meisten von uns sind diese Archetypen bekannt, werden aber jeweils im Kontext des Buches noch genauer erklärt.
Jetzt geht es endlich richtig los mit meiner Rezension und ich widme mich dem ersten Teil des Buches, den Mysterienfesten:
Die Autorin geht durch die acht Jahreskreisfeste, beginnend mit einer Einleitung, warum wir Frauen heute diese Form von Jahreskreisfesten oder Mysterienfesten benötigen.
Ich gehe mit ihr absolut d'accord, dass unser eigenes, tiefes Wissen unserer matrifokalen Ahninnen fast vollständig verloren ist. Weshalb besonders wir westlichen Frauen auf der Suche nach dieser inneren Sinnfülle sind und uns (leider) bei anderen Kulturen, Religionen und Spiritualitäten umsehen (müssen). Auch stehe ich voll hinter ihrem "Politischen Manifest für eine matriarchale Welt", von dem ich zuerst auf dem Matriarchatskongress 2017 in Hamburg gehört hatte. Leider finde ich keine deutsche Quelle oder Link, hier aber das Manifest auf Englisch!
Hier möchte H G-A eine neue Form der Rück-Bindung (religio) an unsere mitteleuropäische weibliche Spiritualität finden. Dies hat sie in den langen Jahren, in denen ihre Akademie HAGIA besteht, nun entwickelt und stellt ein klares und nachvollziehbares, rituelles Regelwerk in dem vorliegenden Buch vor.
Sie startet den Jahreskreis mit dem „Lichtfest“ zum 02. Februar.
Ich gehe hier jetzt nicht in jedes einzelne Jahreskreisfest ein, das würde den Rahmen einer Rezension einfach sprengen, zeige aber hier zusammengefasst die Strukturen eines jeden Jahreskreisfestes:
Alles beginnt mit einer kulturhistorischen Bedeutung, in der sie die Zeit, den Inhalt und die Bedeutung des jeweiligen Jahreskreisfestes beschreibt: Inhalt und Sinn, Name des Festes, die Natur-Zeit, das Gesicht der Erde. Es folgt die Göttin des Jahreskreisfestes, die sie erst allgemein und dann in der matriarchalen Kultur beschreibt. Es folgt der Heros des Jahreskreisfestes und mit ihm die aktuell zu dieser Zeit stattfindenden Volksfeste, Rummel, Karnevale und Vergnügungen.
Ausführlich geht es weiter mit der Gestaltung des Festes, dem Raum, den Utensilien und der Bekleidung, die die Teilnehmenden zum Fest tragen sollen. Hier kommen auch Anrufungen und genaue Handlungsanweisungen für die Teilnehmenden vor, jeder Schritt, jede Handreichung, jedes Wort wird vorgeschlagen, wann wer welchen Auftritt mit Handlungen hat, von der Eröffnung bis zum Schluss.
Als Letztes zum Jahreskreisfest werden die Symbole des jeweiligen Festes zusammengefasst.
H G-A hat ihre Feste deutlich in den Mitteleuropäischen Raum (Süddeutschland, Alpenregion) gelegt, denn sie beschreibt die Jahreszeiten so wie wir sie noch bis vor Kurzem regelmäßig erlebt haben: Schnee im Winter, Schmelze und Blüte im Frühjahr, Hitze und Trockenheit im Sommer, kühle Winde und erste Fröste im Herbst.
Dass die „traditionellen, matriarchalen Stadtkulturen“ allerdings wohl im früheren Mesopotamien, Vorderasien und Griechenland verortet waren und völlig andere klimatische Bedingungen haben, kommt erst später im Teil über die Astrologie vor.
Da ich mich mindestens genauso lange mit sämtlichen spirituellen, religiösen und esoterischen Richtungen befasse, wie mit meiner eigenen Rückbindung ins Matrifokal, erlaube ich mir hier anzumerken, dass alle diese Handlungen und Rituale seit vielen Jahrzehnten immer wieder in verschiedensten Schriften ähnlich erklärt werden. Vieles ähnelt dem Wicca, einiges hat definitiv den Ursprung in den griechischen und römischen Mysterien, wie dem Dionysios-Kult oder den Elysischen Mysterien. Damit sind sie alles Andere als matriarchal.
Für jemanden, der/die überhaupt noch keine Ahnung über die Gestaltung eines Rituals hat, können die Anweisungen hilfreich sein, für erfahrene Ritualgestalter*innen engen sie aber die Spontaneität im Ritual ein, wenn man zuerst nachschlagen muss, welches Wort, welcher Satz und welche Handlung zu welchem Zeitpunkt genannt und durchgeführt werden muss.
Einige üble Ausrutscher muss ich leider anmerken, denn hier hat H G-A entweder nicht richtig recherchiert, oder sich bewusst etwas ausgedacht. Diese Fehler sollten in der nächsten Auflage korrigiert werden.
Ostara (S. 88 ff): ist nicht kulturhistorisch belegt, kommt in einer einzigen Zeile des britischen Kirchenschreibers Bena Venerabilis vor (Quelle, Quelle)
Der Heros des Frühlingsfestes (S. 94 ff): hier behauptet H G-A, dass die Sonne als männliches Symbol schon sehr alt ist. Nein, ist es nicht, denn die „Vermännlichung“ der Sonne trat erst während und nach dem Patriarchalisierungsprozess auf. Auch die Vermännlichung des Himmels ("Vater" Himmel, Mutter Erde) hat erst hier ihren Ursprung.
Auf Seite 95 berichtet sie über eine Osterprozession auf Lipari, einer kleinen Insel nördlich von Sizilien. In dieser Prozession wird eine schwarz verhüllte Madonna durch die Straßen getragen. Nachdem sie ihren mit Blumen geschmückten Sohn Jesus erblickt, fällt der schwarze Umhang und ihr weiß-blaues Gewand tritt zum Vorschein. H G-A verortet hier den Ursprung eines zutiefst patriarchalen Mysteriums in die matriarchale Zeit, in dem die „Himmelsgöttin“ Maria ihren Sohn-Heros Jesus trifft. Sie verortet die Mutter-Sohn Kombination ins Matriachat, aber in den matriarchalen Kulturen vor der Patriarchalisierung standen die "Göttinnen" ganz für sich selbst. Weder brauchten sie einen Sohn zur Legitimation, noch einen Heros-Gatten-Sohn-Geliebten. Erst bei der ägyptischen Isis wurde ihr ein Sohn, das Horus-Kind, zugewiesen.
Auf Seite 98 dachte ich mir, WTF!!??, wenn H G-A über die Lamm-Symbolik behauptet, Zitat: „Da in der matriarchalen Vorstellung die Sonne selbst mit dem Lamm oder dem Widder symbolisiert wird, bedeutet es, dass die Sonne am Ostermorgen hüpft und springt, wenn sie aufgeht.“ Zitat Ende.
Nein, die Lamm-Symbolik stammt aus der Hirtennomadenkultur der Jamnaja-Kriegernomaden und ist zutiefst patriarchal. Der Widder war ein „Wappen-“Tier im alten Ägypten, denn hier findet man unzählige Widderskulpturen.
Unfreiwillige Komik kommt im Mai-Jahresfest auf, wo sie auf Seite 120 erklärt, dass der „Heros der Liebesgöttin in den Mythen stets der schönste Jüngling weit und breit sei, so schön wie Adonis“ und auf der gegenüber liegenden Seite eine Abbildung des „Grünen Mannes von Glastonbury“ zu sehen ist: ein gestandener, älterer Mann Ende 60 oder Anfang 70.
Als sie auf den Seiten 124/125 zu Walpurgis über die Hexenverfolgungen spricht, vergisst sie zu erwähnen, dass auch durch den 30jährigen Krieg die Bevölkerung massiv dezimiert wurde, nicht nur durch die Pest.
Im Abschnitt über das Fest zur Sommersonnwende auf Seite 148 behauptet sie romantisch verklärt, dass „das Leben aus der Liebe“ entsteht.
Wenn alles Leben tatsächlich aus Liebe entstehen würde, wären wir heute sehr viel weniger Menschen auf der Erde, die aber sehr viel glücklicher wären. Tatsächlich hat Liebe mit der Entstehung von Leben so gar nichts zu tun, denn Leben entsteht auch bei gewaltvollen Übergriffen, wie einer Vergewaltigung oder in der Tierzucht. Und ob Schnecken, Barsche, Schafe oder Pferde in „Liebe erglühen“, wenn sich bei ihnen ihre hormonellen Triebe erwachen, kann getrost ins Märchenland verlegt werden. Das Leben funktioniert, wie es seit Jahrmillionen funktionierte und in jedem Augenblick auf der Erde weiter tut: aus sich selbst heraus, vielfältig und mit einer exorbitant hohen Varianz.
Hier gehe ich nun näher auf das Konstrukt der „Heiligen Hochzeit“ ein.
Wenn es so etwas wie eine „Heilige Hochzeit“ tatsächlich gegeben hat, dann war es definitiv nicht matriarchal oder gar matrifokal. Denn hier geht es um die Legitimation eines Herrschers oder seines spirituellen Vertreters. Da solche Hierarchien erst MIT dem Patriarchalisierungsprozess entstanden sind, die frühen Patriarchen aber noch ihre Bevollmächtigung durch eine Vertreterin der „Göttin“, aka der Ahnmutter, erlangen mussten, mussten sie sich mit ihr symbolisch „Vermählen“.
Da hier die frei gelebte „Female Choice“ der Vertreterin der Göttin nicht mehr gewährt wurde, sie selber nicht frei entscheiden konnte, ob, wann und unter welchen Umständen sie mit diesem Mann von Rang so etwas wie eine „Ehe“ (auch eine Erfindung des Patriarchats) eingeht, kann hier getrost entweder von einer Geiselnahme oder einer Vergewaltigung ausgegangen werden. Beides auch gerne zusammen. Diese „matriachalen Priesterinnen“ die durch das Gesamtwerk H G-As wabern, sind bereits zutiefst in die patriarchale Gesellschaft eingebunden.
Auch kann getrost davon ausgegangen werden, dass die Priesterinnnen nicht immer in „Liebe zu ihrem Heros“ zugewandt waren, sondern diesen Staatsakt einfach über sich ergehen lassen mussten.
Kommen wir nun zum Herbst und dem Jahresfest der Ernte:
Auf Seite 224 behauptet H G-A dreist, dass das Münchner Oktoberfest „aus einem alten, agrarischen Erntedankfest hervorgegangen ist.“ Da hat sie leider a) nicht recherchiert und b) sich einfach über Fakten hinweg gesetzt und sich ihre Welt wieder hübsch so gestaltet, wie es ihr gefällt.
Tatsächlich hat das Münchner Oktoberfest seinen Ursprung in der Hochzeit des Kronprinzen Ludwig von Bayern und Prinzessin Therese, die am 12. Oktober 1810 in München statt fand (Quelle).
Im Abschnitt über das Ahninnenfest/Halloween auf Seite 247 ff verortet sie die Kürbisse als heimische, matriarchale Gewächse. Diese kamen aber erst nach der Kolonisation der Amerikas nach Europa. In den Amerikas waren und sind sie allerdings bis heute dem weiblichen Feld des Gartenbaus zugeordnet. Die Grimassen und Geistergesichter, die in die Kürbisse geschnitzt werden, wurden, bevor Kürbisse ihren Siegeszug in Europa antraten, in Rüben geschnitzt.
Auf Seite 259 behauptet sie, dass die „Kachinas“ (die nur bei den matrifokalen Pueblo-Indianern Hopi und Diné/Navajo, vorkommen) nur Ahnenwesen wären. Diese Annahme ist ebenfalls falsch, denn die Kachinas symbolisieren hauptsächlich Naturkräfte, wie die Wolken, den Regen, die Maispflanze, Tiere und landschaftliche Gegebenheiten wie Quellen oder Berge, aber auch Ahnen (Quelle).
Auf Seite 278 zur Wintersonnenwende und den Rauhnächten erklärt H G-A zwar, dass diese zwölf Tage zwischen Wintersonnenwende und dem 6. Januar so bezeichnet würden, liefert hier aber keine Erklärung, warum das so ist. Diese folgt erst im Abschnitt über die Astrologie.
Zum Adventskranz auf Seite 287 fantasiert sie sich auch wieder eine haltlose Mythologie zusammen. Der Adventskranz wurde 1839 von dem evangelisch-lutherischen Theologen Johann Hinrich Wichern (1808–1881) im evangelischen Hamburg eingeführt (Quelle).
Auf den Seiten 288/289 geht sie auf die Traditionen der Weihnachtsbäckerei ein. Diese konnte sich in Mitteleuropa aber frühestens im späten Mittelalter als Delikatessen für sehr wohlhabende Menschen durchsetzen, denn fast alle der Gewürze für diese Backwaren kommen aus dem Orient. Möglich, dass schon zur Kreuzzugzeiten arabisches Gebäck den Weg nach Zentraleuropa gefunden hat, möglich wurde die Verwendung der Gewürze erst durch den Gewürzhandel ab Mitte des 15. Jahrhunderts.
Besonders möchte ich hier das halbmondförmige „Vanillekipferl“ erwähnen, dass seinen Ursprung in Marokko hat und auch heute noch bei jeder Festivität zum Tee gereicht wird.
Nach diesen „Sonnenkreisfesten“ folgen „Matriarchale Rituale im Mondzyklus“, die sich erst ganz allgemein mit den Mondfesten befassen und sich dann in kulturhistorische Bedeutungen erweitert. Hier wird klar der Bezug der Mond zum weiblichen Leben hervor gehoben und sie geht erstmals auf die „matriarchalen“ Ursprünge in der Altsteinzeit ein, die ansonsten fast komplett aus den Werken H G-As in die Bedeutungslosigkeit verbannt werden. H G-As „matriarchale Kulturen“ sind die Kulturen, die in der gewaltvollen Übergangszeit vom Matrifokal zum Patriarchat entstanden sind und dort existierten.
Bei den „Mondbräuchen“ auf Seite 330 behauptet sie fälschlicherweise, dass „Durch die spätere christliche und islamische Missionierung im großen Kulturraum Westasien und Europa die Mondverehrung abgeschafft wurde“. Seltsam, wird doch bis heute sowohl der jüdische als auch der islamische Feiertagskalender nach der Mond ausgerichtet. Und viele westasiatischen und nordafrikanische Länder haben die Mondsichel alleine oder in Kombination mit einem fünfzackigen Stern im Wappen.
Auch in diesem „Mondzyklen“-Teil gibt die Autorin – nicht ganz so ausführlich – Anweisungen, wie Rituale zum jeweiligen Voll- oder Schwarzmond abgehalten werden können.
Im zweiten Teil ihres Buches geht es um den „Kreis des Lebens – Matriarchale Feste der Lebensstadien“.
Zuerst erklärt sie, was die Lebensstadien sind und wie hier die matriarchale Symbolik aussieht. Auch hier bietet sie wieder ausführliche Anweisungen für die Ausgestaltung dieser Feste, die (Jahres-)Zeiten und Handlungen für die Beteiligten.
Ich will hier nicht zu tief gehen, denn diese Art von Festen kann man sehen wie man will.
Einzig auf Seite 384 zum Schnitterinnenfest möchte ich eine Anmerkung machen:
H G-A behauptet: „Die Kinder sind mittlerweile erwachsen geworden und lösen sich aus dem Familienverband, sie gehen ihre eigenen Wege. Das bedeutet Schmerz aber auch eine Entlastung von großer Verantwortung. Vielleicht treten nun Enkelkinder ins Leben der älteren Frau ein, sie wird zur Großmutter, zur Großen Mutter. Die Enkelkinder erinnern sie wieder an die Zeit, als sie selbst kleine Kinder hatte. Aber sie kann nicht mehr dieselbe Nähe mit ihnen genießen, diese liegt bei den jungen Eltern; auch das bedeutet ein gewisses Loslassen. Zugleich hat sie nicht mehr die Verantwortung für die Enkelkinder und fühlt es als Befreiung.“ Zitat Ende.
Hier beschreibt die Autorin unsere patriarchale Lebenswirklichkeit, aber definitiv nicht eine matriarchale oder matrifokale Realität. Denn da bleiben die Kinder auch im Erwachsenenalter bei der Mutter und Großmutter und bilden die matrilineare und matrilokale Sippe, die Kunni.
Endlich war ich bei dem für mich spanndendsten Teil drei angekommen, der „Bilderbibel der Göttinnen“ - Matriarchale Symbolik in den Tarotkarten.
In der Einführung behauptet sie, dass im Tarot versteckte matriarchale Symbolik bis heute überlebt habe. Hier wiederholt sie allerdings nur die esoterisch-verbrämten Mythen zum Tarot, die allseits bekannt sind. Wer die genaue Herkunft des Tarots wissen will, hier bitte weiterlesen.
Auch behauptet sie, dass die so genannten „Zigeuner“ eine matriarchale Kultur haben, oder gehabt haben. Das kann sie aber nicht mit Quellen belegen, daher verweise ich diese Behauptung in das Reich der Mythologie. Die Herkunft ist aber für Indien belegt und sie sprechen ursprünglich eine indo-arische Sprache, die eine hohe Übereinstimmung mit dem Sanskrit hat. Sanskrit ist eine, im Patriarchat entstandene Sprache wie das Indo-Germanische und hat die selben Wurzeln.
Alle Analogien, die H G-A im Tarot-Abschnitt beschreibt, findet man bei fast allen Tarot-Autor*innen, auch die astrologischen Analogien. Was sie neu macht ist, dass sie die 22 Karten des Großen Arkana in „Göttinnen“-Karten und „Heros“-Karten einteilt und jeweils zuordnet. Kann man machen, muss man aber nicht.
Sie baut ihre Tarotkartenanalyse auf dem wohl bekanntesten und verbreitesten Rider Waite Tarot auf, das 1910 zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Hier ist anzumerken, dass Arthur Edward Waite ein Schüler der Gründerin der modernen Esoterik, Helena Blavatsky und ihrer Lehre der Theosophie, war. Er hat sich schon gründlich mit dieser esoterischen Symbolik von Astrologie, Mythologie, den Einflüssen der Lehren der Rosenkreuzer und vielem mehr auseinander gesetzt, sodass H G-A hier nur im Prinzip das wiederholt, beziehungsweise "wieder entdeckt", was A. E. Waite sich selbst erarbeitet hat und anhand seiner Symbolik einen breiten Publikum nun präsentierte.
Davon mal ab, dass sowohl Waite als auch Aleister Crowley, von dem zeitgleich ein anderes, sehr bekanntes Tarotkartendeck entwickelt wurde, zwar ihre Ideen mehr oder weniger selbständig erarbeiteten, die Ausführung und Gestaltung allerdings Frauen übertrugen. Für Waite malte Pamela Coleman Smith die Karten, für Crowley war es Lady (!) Frieda Harris.
Was mir auf Seite 414 aufgefallen ist, ist ihre Erklärung, dass bei ihr „patriarchale Männer (mit den Adjektiven) hart und starr, streng, autoritär und mit starkem Willen“ versehen werden, wohin gehend „matriarchale Männer sanft, liebevoll, weich und mit bunten Stoffen und Blumen verziert“ seien. Diese Analogien treten öfter im Buch bei den entsprechenden Beschreibungen von Männern, bzw. Heroen auf.
Kommen wir zum letzten Teil des Buches (und ich bin mittlerweile bei der 6. DIN A 4 Seite angekommen) – Der Jahreskreis im Kosmos – Matriarchale Symbolik in der Astrologie:
Was mir gut gefällt, ist die leichte und schön erklärte Einführung in die Astrologie, die auch jede*r versteht, der noch nie etwas mit Astrologie am Hut gehabt hat.
Bei der „Matriarchalen Astrologie“ auf Seite 465 verweist sie „die Anfänge in die Jungsteinzeit, als die Menschen einfache und komplexe Steinkreise und Megalithanlagen errichteten.“
Auch hier hat die Autorin nicht weit genug recherchiert, denn es ist mittlerweile bestätigt und belegt, dass schon zur Altsteinzeit die Menschen hervorragende Astronomen waren. Nahezu alle Eingänge der heute bekannten Kulthöhlen (die, in denen z. B. Wandmalereien gefunden wurden, wie Lascaux oder Altamira) wiesen entweder auf die Winter- oder Sommersonnenwende, oder auf die Equinoktien.
Für Lascaux ist belegt, dass die Höhlenmalereien den Sternenhimmel vor über 25.000 Jahren zeigen. Selbst die Darstellung eines Kometen ist belegt, s. o. Weiterhin behauptet sie auf Seite 466, dass das „Wissen über die Jahrtausende hindurch nur mündlich überliefert worden wäre, wie alles aus diesen frühen Kulturen.“ Ja, Schade dass sie nicht sehen will, denn nicht nur einzelne Buchstaben machen eine Schrift aus, auch Symbolbilder sind schriftliche Hinterlassenschaften. Wie eben der Sternenhimmel in der Höhle von Lascaux. Hier reicht sie sich die Hand mit Kirsten Armbruster (einer weiteren, meiner hoch geschätzten Lehrerinnen, die sich leider selbst in ihrer Hybris ins Aus geschossen hat), die ebenfalls die prähistorische Astronomie und Astrologie nicht sehen will.
Interessant sind die neuen Definitionen der Sternbilder, Planeten und Monden, die die Autorin hier „matriarchalisiert“. Sie gibt ihnen einen „Göttinnen“-Status und befreit sie vom patriarchösen Schmutz der letzten zweitausend Jahre. Leider bleibt sie bei den griechischen und römischen Göttinnen und ihren Heroen stecken, anstatt hier wirklich etwas Neues, bzw. sehr Altes zu erschaffen.
Unglücklich ist die Sternenkarte auf Seite 470, weil zu dunkel und zu klein. Man kann kaum eines der Sternbilder darauf erkennen, was besonders schade ist, weil die Autorin im Weiteren immer wieder auf diese Karte verweist.
Auf den folgenden Seiten geht sie einmal durch alle Sternbilder des Horoskops und benennt sie in den Beschreibungen nach Göttinnen und ihren passenden Attributen.
Nach den Sternzeichen werden die astrologischen Häuser erklärt, allerdings weicht sie hier nicht von den klassischen Bedeutungen der Häuser ab. Hier ist sie wieder zu kurz gesprungen und hat es sich zu einfach gemacht. Denn diese Häuserbedeutungen sind frühestens zu babylonischer Zeit entstanden, wahrscheinlich sehr viel jünger, und damit patriarchal.
In Sonne, Mond und Planeten im matriarchalen Verständnis klärt sie über die patriarchalen Bedeutungen der Planeten auf und bemüht sich, hier wieder neue/alte matriarchale "Göttinnen" für die Planeten zu finden. Allerdings kann sie (in ihrem Heros-Wahn) wieder nicht die Planeten für sich alleine stehen lassen und muss sie unbedingt als „Titanen-Paar“ definieren.
Zum Schluss folgt noch ein kurzer Blick auf die astrologische Kombinationslehre, in der es dann doch etwas unübersichtlich für die Laien wird, weil hierfür doch sehr fortgeschrittenes Hintergrundwissen erforderlich ist.
Leider folgt kein Nachwort, sondern die geneigte Leserin, der geneigte Leser, wird einfach so mit den Bildquellen aus dem Buch entlassen.
Fazit:
Ich hätte noch viel detaillierter auf dieses Buch eingehen können, aber nach zwei Tagen lesen und fünf Stunden Schreiben auf sieben DIN A 4 Seiten reicht es nun. Zusätzlich musste ich das noch nachholen, was die Autorin leider stellenweise vernachlässigt hat – eine Quellenrecherche.
In ihren eigenen Quellenangaben verweist sie hauptsächlich auf ihre bereits veröffentlichten Bücher oder auf Robert Ranke Graves uralten Theorien zu den Matriarchaten und zur griechischen Mythologie.
Symbolik von Erde und Kosmos ist ein sehr umfassendes Buch mit klaren Anleitungen zu den Jahreskreisfesten und mit einem einfachen Einstieg in die große Arkana des Tarot und der Astrologie. Leider enthält es einige Faktenfehler.
Zu Wünschen wäre, dass Heide Göttner-Abendroth erkennt, dass die von ihr herbei fantasierten „matriarchalen Gesellschaften“ nur in ihrem Wunschdenken existierten und sie erkennt, dass der Heros-Mythos mitsamt der „Heiligen Hochzeit“ eine hübsche Verniedlichung des gewaltvollen Patriarchalisierungsprozesses ist. Auch Glitzer und Blingbling machen Vergewaltigung und Geiselnahme nicht schöner.
Es ist absolut richtig, dass wir uns an unser altes, matrifokales Wissen wieder erINNern sollten und müssen, allerdings werden wir es nicht bei den griechischen, römischen oder ägyptischen Göttinnen finden. Auch die Dualität, die immer wieder im Buch beschrieben wird, ist Ausdruck der patriarchalen Trennung aus dem Matrifokal, denn im Matrifokal ist alles EINS.
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